Willkommen in der Republik der Träume,
einem Onlineportal, das sich der Adaption der literarischen Welten von Bruno Schulz widmet.

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Tour / 6 Minuten Audio-Reise

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Willkommen bei den geführten Audio-Reisen der Republik der Träume.

Das wiederholte Anhören der Audio-Reisen wird empfohlen, da es den Zugang zur Republik vereinfacht.

Machen Sie es sich zunächst an einem Ort bequem, an dem Sie nicht gestört werden.

Wir empfehlen Ihnen, eine Augenmaske zu tragen oder alle Lichter zu löschen.

Wenn Sie es noch nicht getan haben, schließen Sie Ihre Augen und lassen Sie sich von meiner Stimme leiten.

Stellen Sie sich vor, auf einem Bett aus dichtem, warmem Moos zu liegen.

Unter Ihnen flüstern die Wurzeln und die Pilzgeflechte.

Hinter Ihren Augenlidern erscheint ein riesiges Netz von Sternen, eingezeichnet in die kühle Dunkelheit des Alls.

Millionen und Abermillionen von Sternen.

Atmen Sie ein, und wenn Sie ausatmen, beginnen Sie, langsam in Richtung dieser Stene zu schweben...

Die Schwerkraft hat keine Macht mehr über Sie.

Während Sie sich auf meine Stimme konzentrieren, schweben Sie tiefer und tiefer ins All.

Mit jedem Ausatmen entspannen Sie Ihre Gesichtsmuskeln.

Entspannen Sie Ihren Hals und Ihre Schultern.

Entspannen Sie Ihre Arme und Ihre Beine.

Entspannen Sie Ihre Hände und Ihre Füße.

Zurück im Wald, im Moos liegend, verwandelt sich Ihr Körper in Hunderte von winzigen violetten Schmetterlingen.

Schauen Sie ihnen zu, wie sie davonfliegen.

Sie betreten nun Die Republik der Träume.

Kurzer Aufenthalt / 16 Minuten Audio-Reise

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Unter Ihnen flüstern die Wurzeln und die Pilzgeflechte.

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Millionen und Abermillionen von Sternen.

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Die Schwerkraft hat keine Macht mehr über Sie.

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Mit jedem Ausatmen entspannen Sie Ihre Gesichtsmuskeln.

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Zurück im Wald, im Moos liegend, verwandelt sich Ihr Körper in Hunderte von winzigen violetten Schmetterlingen.

Schauen Sie ihnen zu, wie sie davonfliegen.

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Niemals werde ich die leuchtende Fahrt in dieser hellsten aller Winternächte vergessen. Die bunte Himmelskarte hatte sich zu einer unermeßlichen Kuppel ausgedehnt, auf der sich phantastische Länder, Ozeane und Meere türmten, gezeichnet von astralen Wirbeln und Strömungen, den leuchtenden Linien einer himmlischen Geographie. Die Luft zum Atmen war leicht geworden und schimmerte wie silberne Gaze. Es duftete nach Veilchen. Unter dem Schnee, der wollig war wie Karakulschäfchen, neigten sich bebende Anemonen mit einem Funken Mondlicht in ihren zarten Kelchen. Der ganze Wald schien illuminiert von abertausend Lichtern, den vom Dezemberfirmament reichlich ausgeschütteten Sternen. Die Luft war durchtränkt vom geheimen Frühling, der unerhörten Reinheit des Schnees und der Veilchen. Wir fuhren durch sanft gewelltes Gelände. Die Silhouette der mit nackten Baumruten behaarten Hügel hob sich wie wohlige Seufzer gen Himmel. Auf diesen glücklichen Hängen sah ich ganze Gruppen von Wanderern, die im Moos und Unterholz die herabgefallenen, schneefeuchten Sterne einsammelten. Der Weg war steil geworden, das Pferd kam ins Rutschen und zog nur mit Mühe das in allen Gelenken knirschende Gefährt hinter sich her. Ich war glücklich. Meine Brust sog den wohltuenden Frühling der Luft, die Frische der Sterne und des Schnees in sich ein. Vor der Brust des Pferdes hatte sich ein Wall aus weißem Schneeschaum angehäuft, der immer höher stieg. Mühselig kämpfte sich das Pferd durch die saubere und frische Masse. Schließlich blieb es stehen. Ich stieg aus der Droschke. Das Pferd schnaubte heftig mit gesenktem Kopf Ich schmiegte seinen Schädel an die Brust, in seinen übergroßen, schwarzen Augen glitzerten Tränen. Da erblickte ich an seinem Bauch eine runde, schwarze Wunde. »Warum hast du mir das nicht gesagt?« flüsterte ich unter Tränen. »Für dich, mein Lieber«, sagte es und wurde sehr klein, so klein wie ein Holzpferdchen.

Foto von Bruno Schulz auf Stufen sitzend in Drohobycz, 1933-1934 aus Czeskie Centrum / České centrum Praha, Autor unbekannt

Ideelle Absichtserklärung

von Mika Johnson

“Gegenwärtig betrachten wir das Wort als bloßen Schatten der Wirklichkeit, als ihr Spiegelbild. Aber das Gegenteil wäre zutreffender: Die Wirklichkeit ist lediglich ein Schatten des Wortes.” – Bruno Schulz

Bruno Schulz war ein polnischer Schriftsteller und bildender Künstler jüdischer Herkunft. Sein Werk gilt als die am meisten traumähnliche Literatur des 20. Jahrhunderts. Schulz verließ seinen physischen Körper um die Mittagszeit des 19. November 1942, dem Tag, an dem er aus seiner Heimatstadt Drohobytsch vor dem Naziterror fliehen wollte. Er wurde auf der Straße ermordet, nur wenige Häuserblocks von dem Ort entfernt, an dem er aufgewachsen war. Schulz wurde noch in jener Nacht auf einem örtlichen jüdischen Friedhof beerdigt, der dann selbst verschwinden sollte, verloren unter Ziegeln und Balken einer Wohnsiedlung der Nachkriegszeit. In einer anderen Dimension ist Bruno Schulz nie gestorben. Er lebt weiter, denn indem er seine Erinnerungen, Träume und Identität in seinem Werk mit Hilfe von Sprache verschlüsselte, transzendierte Schulz den Tod. Wie ein jüdischer Messias (der Titel eines seiner verschollenen Werke) kehrt er nun im 21. Jahrhundert zu uns zurück, um uns aus dem Labyrinth des Materialismus hinaus- und in den kollektiven Traum hineinzuführen. Dies ist dank eines virtuellen Raums möglich, den Schulz zu Lebzeiten manifestiert hat und der sich nun mit jedem neuen Bewusstsein, das mit seinem Werk in Berührung kommt, erweitert. Diesen Raum nennen wir Die Republik der Träume und wollen ihn mit diesem Projekt einem breiteren Publikum zugänglich machen. Bruno Schulz ist zwar der Gründer der Republik, aber der Raum selbst besteht aus den Überbleibseln längst erloschener Sterne. Er geht zurück auf die letzte Expansion des Universums, die Transformation von Gasen in Materie, die Verwandlung von Sternen zu Planeten und die Manifestierung von Leben auf der Erde vor 3,7 Milliarden Jahren. Danach geht es im Schnelldurchlauf weiter zu den Menschenaffen, die Symbole verwenden und ein reflektierendes Bewusstsein entwickeln, später auch Träume. Die Vorfahren dieser Spezies, bekannt als Homo sapiens, gestalten während Hunderttausenden von Jahren einen kollektiven, vereinten Traum. Der Zugang zu diesem kollektiven Traum ist jedoch schwierig. Deshalb feiern wir den 12. Juli 1892, das verheißungsvolle Datum von Schulz’ Geburt, als die Öffnung eines Portals zu dem kollektiven Traum, den Schulz zu Lebzeiten geformt und entwickelt hat. Wie der heilige Petrus, der die Schlüssel zum christlichen Himmel in den Händen hält, wird auch Schulz zum kosmischen Torwächter oder gleir chsam zum gesalbten Architekten einer ganzen Republik, die als Brücke zum Welt-Traum dient. Da Die Republik der Träume nur mit Hilfe von Dichtung, Trance oder anderen traumähnlichen Zuständen betreten werden kann, stellen wir online eine Landkarte, Benutzeranleitungen und Audio-Reisen bereit, die als kreative Schlüssel dienen und den Zugang zur Republik erleichtern sollen. Trotzdem ist dabei die Intention das Wichtigste. Das lineare, alltägliche Denken kann nicht findet keinen Zugang, ebensowenig die vollständig erwachte Ratio. Die Vernunft muss aufgegeben werden. Der Sinnrftlich, religiös oder ideologisch. Wenn wir dieses Betriebssystem verlassen, öffnen wir der Angst, ja gar dem Terror, Tür und Tor. Deshalb sind alle Arbeiten auf dieser Webseite darauf ausgerichtet, die Zugänge zu Schulz’ Republik und damit zum kollektiven, vereinten Traum behutsam zu öffnen. Die Belohnung für das Betreten von Schulz’ Republik der Träume ist pures Staunen. Wie bei Kartografen, die sich in einer exotischen Landschaft verirren, werden körperliche Verwandlungen, kosmische Reisen, außerirdische Kommunikation und sogar Telepathie möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Die Illusion von Zeit und Raum, von Anfang und Ende, von Eigenem und Fremdem, selbst die Kategorien von Leben und Tod lösen sich auf und werden durch neue Fragen ersetzt. Aber in jedem Fall lernen wir durch den Besuch von Schulz’ Republik eine Wahrheit: Dass die Welt nicht aus Atomen, Quarks oder Elektronen besteht. Sie besteht auch nicht aus Lebensgeist. Die Welt besteht aus Sprache, und jenseits der Sprache, aus Träumen.

Ideelle Absichtserklärung

von Mika Johnson

“Gegenwärtig betrachten wir das Wort als bloßen Schatten der Wirklichkeit, als ihr Spiegelbild. Aber das Gegenteil wäre zutreffender: Die Wirklichkeit ist lediglich ein Schatten des Wortes.”

- Bruno Schulz

Scan des Geburtenregisters zur Aufnahme von Bruno Schulz am 12. Juli 1892

Klicken Sie auf die unten stehenden Links, um Ausschnitte aus den folgenden Kurzgeschichten von Bruno Schulz zu hören.

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Die Heimsuchung

Die Heimsuchung

Unsere Stadt fiel schon damals immer mehr dem chronischen Grau der Dämmerung anheim, an ihren Rändern wuchsen Schattenflechten, flaumiger Schimmel und eisenfarbenes Moos.

Kaum hatte sich ein Tag aus den bräunlichen Rauch- und Nebelschwaden des Morgens herausgewickelt, kippte er auch schon wieder in einen tiefen, bernsteinfarbenen Nachmittag, wurde für kurze Zeit transparent und golden wie dunkles Bier, um gleich darauf in den vielfältig zergliederten, phantastischen Gewölben farbenfroher und ausgedehnter Nächte unterzugehen.

Wir wohnten am Marktplatz in einem der dunklen Häuser, deren leere und blinde Fassaden man nur schwer voneinander unterscheiden konnte.

Aus diesem Grund verirrte man sich ständig. Hatte man einmal den falschen Korridor und die falsche Treppe betreten, geriet man gewöhnlich in ein wahres Labyrinth von fremden Wohnungen, Galerien und überraschenden Ausgängen in fremde Höfe, man vergaß das eigentliche Ziel der Expedition, und erst wenn man nach vielen Tagen von den Abwegen wundersamer und verwickelter Abenteuer heimkehrte, fielen einem in grauer Morgenstunde das schlechte Gewissen und das Elternhaus wieder ein.

Die Zimtläden

Die Zimtläden

Niemals werde ich die leuchtende Fahrt in dieser hellsten aller Winternächte vergessen. Die bunte Himmelskarte hatte sich zu einer unermeßlichen Kuppel ausgedehnt, auf der sich phantastische Länder, Ozeane und Meere türmten, gezeichnet von astralen Wirbeln und Strömungen, den leuchtenden Linien einer himmlischen Geographie. Die Luft zum Atmen war leicht geworden und schimmerte wie silberne Gaze. Es duftete nach Veilchen. Unter dem Schnee, der wollig war wie Karakulschäfchen, neigten sich bebende Anemonen mit einem Funken Mondlicht in ihren zarten Kelchen. Der ganze Wald schien illuminiert von abertausend Lichtern, den vom Dezemberfirmament reichlich ausgeschütteten Sternen. Die Luft war durchtränkt vom geheimen Frühling, der unerhörten Reinheit des Schnees und der Veilchen. Wir fuhren durch sanft gewelltes Gelände. Die Silhouette der mit nackten Baumruten behaarten Hügel hob sich wie wohlige Seufzer gen Himmel. Auf diesen glücklichen Hängen sah ich ganze Gruppen von Wanderern, die im Moos und Unterholz die herabgefallenen, schneefeuchten Sterne einsammelten. Der Weg war steil geworden, das Pferd kam ins Rutschen und zog nur mit Mühe das in allen Gelenken knirschende Gefährt hinter sich her. Ich war glücklich. Meine Brust sog den wohltuenden Frühling der Luft, die Frische der Sterne und des Schnees in sich ein. Vor der Brust des Pferdes hatte sich ein Wall aus weißem Schneeschaum angehäuft, der immer höher stieg. Mühselig kämpfte sich das Pferd durch die saubere und frische Masse. Schließlich blieb es stehen. Ich stieg aus der Droschke. Das Pferd schnaubte heftig mit gesenktem Kopf Ich schmiegte seinen Schädel an die Brust, in seinen übergroßen, schwarzen Augen glitzerten Tränen. Da erblickte ich an seinem Bauch eine runde, schwarze Wunde. »Warum hast du mir das nicht gesagt?« flüsterte ich unter Tränen. »Für dich, mein Lieber«, sagte es und wurde sehr klein, so klein wie ein Holzpferdchen.

August

August

Jeden Tag durchwanderte der ganze große Sommer die dunkle Wohnung im ersten Stock des Hauses am Marktplatz: die Stille flimmernder Luftschichten, die leuchtenden Quadrate, die auf dem Fußboden inbrünstig ihren Traum träumten, die Melodie eines Leierkastens, aus der tiefsten goldenen Ader des Tages hervorgelockt, zwei, drei Takte eines Refrains, die irgendwo, immer wieder, auf einem Klavier gespielt wurden, ohnmächtig auf den weißen Trottoirs zusammenbrachen und sich im Feuer der Tagesmitte verloren.

Samstag nachmittags ging ich mit meiner Mutter spazieren. Man trat aus dem Dämmer des Flures plötzlich in das Sonnenbad des Tages. Die im Gold watenden Passanten hatten die Augen in der Glut zusammengekniffen, wie mit Honig verklebt, so daß die hochgezogenen Oberlippen Zähne und Zahnfleisch entblößten. Und alle trugen sie beim Waten im goldenen Tag diese Hitzegrimasse, als hätte die Sonne all ihren Anbetern ein und dieselbe Maske aufgesetzt — die goldene Maske der Sonnenbruderschaft; und alle, die heute durch die Straßen spazierten, einander begegneten, aneinander vorbeigingen, Alte und Junge, Kinder und Frauen, grüßten sich im Vorübergehen mit der dick aufgetragenen, goldfarbenen Maske im Gesicht und schnitten einander diese bacchantische Grimasse — die barbarische Maske eines heidnischen Kults.

Der Pensionist

Der Pensionist

Dort, auf dem ausgedehnten und hellen Platz wird Holz gehackt, für die städtische Schule. Dort stehen viereckig und kubisch geschichtete Stöße aus gesundem, prallem Holz, die Scheit für Scheit unter den Sägen und Äxten der Holzhacker dahinschmelzen. Ach, das Holz, dieses vertraute und ehrliche hochwertige Material der Wirklichkeit, durch und durch lauter und redlich, die Verkörperung von Aufrichtigkeit und Lebens-Prosa. Wie tief du auch bohrst, bis ins tiefste Mark, du wirst dort nichts anderes finden als das, was schon an der Oberfläche einfach und vorbehaltlos, mit stetem und gleichmäßigem Lächeln enthüllt ist, von dieser warmen und lichten faserigen Substanz erhellt, die nach dem Ebenbild des menschlichen Körpers gewebt ist. An jeder frischen Bruchstelle eines gespaltenen Scheits zeigt sich ein neues Gesicht, das doch immer das gleiche ist, lächelnd und golden. Oh, diese überaus seltsame Karnation des Holzes, warm ohne Exaltation, durch und durch gesund, duftend und freundlich.

Eddie

Eddie

Adela hingegen liegt reglos da, sie ist ganz dem tiefen Rhythmus des Traums hingegeben, der sie durchfließt. Sie hat nicht einmal die Kraft, die Decke wieder über die entblößten Schenkel hinaufzuziehen, und sie kann nichts dagegen tun, daß die Wanzen über ihren Körper wandern, ganze Reihen und Kolonnen von Wanzen. Diese leichten und platten Rümpfe laufen so zart über sie hinweg, daß sie die winzigen Berührungen gar nicht spürt. Diese flachen Blut-Täschchen, diese rostroten Blut-Beutelchen, ohne Augen und Physiognomie marschieren jetzt in Schwärmen, es ist eine große Völkerwanderung, in Generationen und Sippen aufgeteilt. Scharenweise laufen sie die Beine hinauf, sie promenieren ungezählt, werden größer, riesig wie Motten, wie flache Geldbörsen, wie riesige, kopflose, rote Vampire, leicht und papieren, auf Beinchen, die zarter sind als die von Spinnen.

Und wenn die letzten, verspäteten Wanzen vorüber und verschwunden sind, auch diese große noch und dann die allerletzte — dann wird es vollkommen still, und während das Grau der Dämmerung langsam in die Zimmer sickert, zieht tiefer Schlaf durch die leeren Korridore und Wohnungen.

Die Krokodilstrasse

Die Krokodilstrasse

Wir haben in diesem Viertel auch Trambahnen. Hier feiert der Ehrgeiz der Stadträte seinen höchsten Triumph. Doch erbarmungswürdig ist der Anblick dieser aus Pappmache gefertigten Wagen, deren Seitenwände durch den jahrelangen Gebrauch verzogen und zerbeult sind. Oft fehlt die Vorderfront einfach zur Gänze, so daß man die Passagiere im Vorbeifahren sehen kann, wie sie steif darin sitzen und sich mit großer Würde benehmen. Die Trambahnen werden von städtischen Trägern geschoben. Das Allerseltsamste jedoch, das ist der Eisenbahnverkehr auf der Krokodilstraße.

Manchmal, zu unregelmäßigen Tageszeiten, irgendwann gegen Ende der Woche, kann man eine Menschenmenge beobachten, die an der Straßenbiegung auf einen Zug wartet. Man ist nie sicher, ob der Zug auch kommt und wo er haltmachen wird, und oft geschieht es, daß die Menschen sich an zwei verschiedenen Orten aufstellen, weil sie unterschiedlicher Ansicht darüber sind, wo sich die Haltestelle befindet. Sie warten lange und stehen als schwarze, schweigende Masse entlang den sich nur schwach abzeichnenden Gleisspuren, ihre Gesichter im Profil, wie eine Reihe blasser Papiermasken, ein phantastischer Scherenschnitt des Gaffens. Und endlich, unversehens, kommt der Zug, er ist schon aus einer Nebengasse eingebogen, woher man ihn nicht erwartet hatte, er kriecht wie eine Schlange, ein Miniaturzug mit einer kleinen keuchenden, untersetzten Lokomotive. Er ist in das schwarze Spalier eingefahren, und die ganze Straße hat sich von der Kohlestaub säenden Wagenfolge verdunkelt. Das dumpfe Keuchen der Dampflok und der seltsam ernste, trauerbeladene Luftzug, die unterdrückte Hast und Nervosität verwandeln die Straße einen Moment lang in eine Bahnhofshalle bei rasch hereinbrechender Winterdämmerung.

Ein Übel unserer Stadt ist die Agiotage mit Fahrkarten und die Korruption.

Im letzten Augenblick, wenn der Zug schon an der Station steht, wird noch nervös und eilig mit den bestechlichen Beamten der Eisenbahnlinie gefeilscht. Bevor die Verhandlungen beendet sind, fährt der Zug los, die enttäuschte Menge schiebt sich langsam voran und begleitet ihn noch ein ganzes Stück, um sich dann endlich zu zerstreuen.

Alle Texte von Bruno Schulz ins Deutsche übersetzt von Doreen Daume.
Mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlags.

Alle anderen Texte ins Deutsche übersetzt von Timo Koch

Bruno Schulz, Die Zimtläden
Aus dem Polnischen von Doreen Daume
© 2008 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München

Bruno Schulz, Das Sanatorium zur Sanduhr
Aus dem Polnischen von Doreen Daume
© 2008 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München

Foto von Markthallen in der Styrska-Straße in Drohobycz vom Marktplatz aus gesehen. Am Gebäude befindet sich ein Schild der Merchant Credit Cooperative. Die Kamera ist auf der Straße positioniert. Ein paar Leute schauen vom Bürgersteig aus in die Kamera. 1918-1939, Autor unbekannt

Erkunden Sie die Landkarte der Republik.

Foto eines Feuerwehrmanns, der von einem Gebäude an einer Seilrutsche für die Woche der Brandschutzpropaganda, organisiert von der Bezirksabteilung des Lwiwer Feuerwehrverbandes der Republik Polen, absteigt, hinter ihm eine volle Menge Schaulustiger, 1935 von Adam Jankowski